Samstag, 17. Juli 2010

Kleine Gesetzeskunde

Für diesen Beitrag haben wir ein paar Schriftstücke mit imposanten Bezeichnungen zur Hand genommen, um die aktuelle Gesetzeslage zu erkunden.

Deutschlandweit wird der Mobilitätsservice jeden Tag genutzt und sichert damit die Bahnreise für eine Vielzahl mobilitätseingeschränkter Fahrgäste ab. Jedoch kennen wir auch die großen Probleme und wollten genauer wissen, welche Gesetze die Arbeit der Eisenbahnunternehmen regeln.

Neben dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen und der UN-Behindertenrechtskonvention gibt es speziell für den Eisenbahnverkehr EU-weit gültige Vorgaben. Eine kleine Auswahl an Fundstellen wollen wir hier präsentieren. Das mag im ersten Moment sehr trocken und langweilig klingen, doch sollte man über seine Rechte Bescheid wissen. Wir zitieren nur kurze Auszüge der entsprechenden Texte und werden in Fettschrift die wichtigsten Stellen markieren. So sollte jeder ganz schnell einen Eindruck davon bekommen, welche Forderungen an die Bahn zu stellen sind.

EU-Verordnungen

Als erstes wagen wir einen Blick in die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (erschienen im Amtsblatt der Europäischen Union L 315/14 vom 03.12.2007). Das klingt erst einmal sehr kompliziert! Aber davon sollte man sich nicht abschrecken lassen und so haben wir in den Rechten der Fahrgäste folgendes gefunden:
KAPITEL V

PERSONEN MIT BEHINDERUNGEN UND PERSONEN MIT EINGESCHRÄNKTER MOBILITÄT

Artikel 19

Anspruch auf Beförderung

(1) Die Eisenbahnunternehmen und die Bahnhofsbetreiber stellen unter aktiver Beteiligung der Vertretungsorganisationen von Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität nicht diskriminierende Zugangsregeln für die Beförderung von Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität auf.

(2) Buchungen und Fahrkarten werden für Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität ohne Aufpreis angeboten. Ein Eisenbahnunternehmen, Fahrkartenverkäufer oder Reiseveranstalter darf sich nicht weigern, eine Buchung einer Person mit einer Behinderung oder einer Person mit eingeschränkter Mobilität zu akzeptieren oder ihr eine Fahrkarte auszustellen, oder verlangen, dass sie von einer anderen Person begleitet wird, es sei denn, dies ist unbedingt erforderlich, um den in Absatz 1 genannten Zugangsregeln nachzukommen.

Artikel 21

Zugänglichkeit

(1) Die Eisenbahnunternehmen und Bahnhofsbetreiber sorgen durch Einhaltung der TSI [Technische Spezifikationen für die Interoperabilität] für Personen mit eingeschränkter Mobilität dafür, dass die Bahnhöfe, die Bahnsteige, die Fahrzeuge und andere Einrichtungen für Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich sind.

(2) Ist ein Zug oder ein Bahnhof nicht mit Personal ausgestattet, bemühen sich die Eisenbahnunternehmen und die Bahnhofsbetreiber nach besten Kräften, Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität die Fahrt mit dem Zug zu ermöglichen.

Artikel 22

Hilfeleistung an Bahnhöfen

(1) Unbeschadet der Zugangsregeln nach Artikel 19 Absatz 1 hat der Bahnhofsbetreiber bei Abfahrt, Umsteigen oder Ankunft einer Person mit einer Behinderung oder einer Person mit eingeschränkter Mobilität in einem mit Personal ausgestatteten Bahnhof für kostenlose Hilfeleistung in einer Weise zu sorgen, dass die Person in den abfahrenden Verkehrsdienst einsteigen, zum Anschlussverkehrsdienst umsteigen und aus dem ankommenden Verkehrsdienst aussteigen kann, für den sie eine Fahrkarte erworben hat.
Zusammenfassend kann man festhalten: es besteht eine Beförderungspflicht, die es der Bahn verbietet, die Reise aufgrund einer Behinderung abzulehnen. Ein Aufpreis wegen einer Mobilitätseinschränkung ist nicht zulässig. Außerdem ist das Ein-, Um- und Aussteigen durch den Bahnhofsbetreiber zu gewährleisten.

Einen weiteren kurzen Abschnitt haben wir in TECHNISCHE SPEZIFIKATION FÜR INTEROPERABILITÄT, Anwendungsbereich: Teilsysteme „Infrastruktur“ und „Fahrzeuge“, Teilbereich: Zugänglichkeit für eingeschränkt mobile Personen (erschienen im Amtsblatt der Europäischen Union L 64/75 vom 07.03.2008) gefunden. Auch hier ein gewaltiger Titel, der uns nicht beeindrucken sollte! Zu lesen gibt es folgendes:
4.2.2.3. Rollstuhlplätze

Je nach Länge des Zuges, ohne Berücksichtigung der Lokomotive oder des Triebkopfs, muss in einem Zug mindestens die in der folgenden Tabelle angegebene Anzahl von Rollstuhlplätzen vorhanden sein:

Länge des Zuges Anzahl der Rollstuhlplätze pro Zug
Unter 205 m 2 Rollstuhlplätze
205 m bis 300 m 3 Rollstuhlplätze
Über 300 m 4 Rollstuhlplätze

Damit die Standfestigkeit gewährleistet ist, muss der Rollstuhlplatz so ausgelegt sein, dass der Rollstuhl entweder in Fahrtrichtung oder entgegengesetzt der Fahrtrichtung platziert werden kann.
[...]
Der Rollstuhlplatz muss mit einer Notrufeinrichtung ausgestattet sein, mit der ein Rollstuhlfahrer bei Gefahr mit einer Person in Kontakt treten kann, die geeignete Maßnahmen einleiten kann. Die Notrufeinrichtung ist so anzubringen, dass sie von einer Person in einem Referenzrollstuhl erreicht werden kann.

Bei aktivierter Notrufeinrichtung muss visuell und akustisch angezeigt werden, dass das Alarmsystem in Betrieb ist.
[...]
Diese Angaben sind überaus interessant, wenn man sich die gegebenen Kapazitäten der meisten ICEs ansieht, denn diese bieten oft nur einen einzigen Rollstuhlstandplatz.
Noch schlimmer ist die Situation in vielen ECs, die z.B. auf der Strecke Hamburg - Prag (und teilweise weiter) verkehren. Dort ist in einer großen Anzahl der Verbindungen gar kein Rollstuhlstellplatz vorhanden!

Beschwerdeformular

Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) ist das kontrollierende Organ für Eisenbahnunternehmen. Stellt man Probleme fest oder verweigert die Deutsche Bahn einen gesetzlich zugesicherten Anspruch, so kann mittels eines Formulars Beschwerde eingereicht werden. Davon sollte jeder Gebrauch machen, damit das EBA darauf aufmerksam gemacht wird und an den zuständigen Stellen entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden können.

Dokumente der Deutschen Bahn

Weitere Informationen enthält das Dokument Zugangsregelungen für Personen mit Behinderungen und Personen mit eingeschränkter Mobilität gemäß der EU-Passagierrechtsverordnung (EG) 1371/2007 bei der DB Station&Service AG. Hierin findet man unter anderem eine Übersicht der Servicezeiten aller Bahnhöfe. Das ist schon daher interessant, weil der Hauptbahnhof in Dresden mit Hilfeleistung zwischen 6 und 24 Uhr gelistet ist. Das wirft die Frage auf, warum sich Robert für den 10.07.2010 um seinen Ausstieg überhaupt selbst kümmern musste?!

In den Zugangsregelungen für mobilitätseingeschränkte Menschen (PRM) gemäß der EU-Passagierrechtsverordnung der DB Fernverkehr AG und der DB Regio AG wird die Zielgruppe folgendermaßen umschrieben:
Mobilitätseingeschränkte Menschen stellen für die Deutsche Bahn AG eine bedeutende Kunden- und damit Zielgruppe dar, deren spezifischen Bedürfnisse bei der strategischen Ausrichtung, der Produktentwicklung und Serviceimplementierung jetzt und in Zukunft grundsätzlich berücksichtigt werden. Das Thema „Reisen mobilitätseingeschränkter Menschen“ besitzt einen hohen Stellenwert innerhalb des Konzerns, und das nicht nur im Hinblick auf das am 01. Mai 2002 in Kraft getretene Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes. Vielmehr bekennt sich das Unternehmen zu seiner gesellschaftlichen Verantwortung gegenüber den mehr als 8 Millionen Bundesbürger mit Behinderungen. Die Umsetzung der EU-Fahrgastrechteverordnung wird durch die Stärkung der Rechte von mobilitätseingeschränkten Menschen hierzu einen weiteren Beitrag leisten.
Sehr schöne Marketing-Formulierungen, die in der Realität leider viel zu oft vom Fahrtwind der Züge davongetragen werden...

1 Kommentar:

  1. Wow,
    das ist ja klasse! Für alle und jeden zum Nachlesen und - ganz wichtig: zum Einfordern.
    Prima, dass ihr das für alle zum Nachlesen gestaltet habt.
    Achten wir darauf, dass die Gesetze eingehalten werden, und dass sie der Fahrtwind der Züge nicht davon trägt.
    Vielen Dank!
    iwi

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